Eines Tages wachte der König wie jeden Morgen in seinem königlichen Bett auf, räkelte und streckte sich, rieb seine müden Augen – der König war einfach kein Morgenmensch – und griff im Halbschlaf zu seiner Krone, welche er wie jeden Abend vor dem Schlafengehen auf einen weichen, samtigen Polster gelegt hatte. Doch als er nach seiner Krone tastete, spürte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Leider war er viel zu müde um seine Augen ganz zu öffnen, deshalb konnte er sich das ganze Ausmass der Katastrophe nicht ansehen, also tastete er weiter mit seiner Hand über seine königliche Kopfbedeckung und vermutete, dass das ein ganz schlimmer Alptraum war, in dem er sich da befand. Denn eigentlich war der König ja ein vertrauensvoller Mensch und das, was er da ertastet hatte, konnte gar nicht wahr sein. Irgendwann, als er endlich soweit war, er seine morgendliche Müdigkeit überwunden hatte und seine Maulwurfaugen öffnen konnte, blickte er auf seine wunderschöne und über-alles-geliebte Krone und schrie vor Schreck laut auf. Zwei der goldenen, perfekten Zacken seiner wunderschönen, königlichen Krone, waren abgebrochen. Kurzerhand fiel der König in einen Schockzustand: Er hörte auf zu atmen und starrte fassungslos auf seine kaputte Krone, doch je länger er diese in seinem Schockzustand betrachtete, umso zorniger wurde er. Am Liebsten hätte er die Krone gegen die königlichen Wände geworfen, aber er wusste, dass das die Katastrophe nur verschlimmern würde. Ausser sich vor Wut, hüpfte er auf seinem Bett auf und ab und fluchte. Der König war sich sicher: Jemand musste sich in der Nacht heimlich in sein Schlafzimmer geschlichen und seine Krone kaputt gemacht haben! Diese verrückte Person musste er finden und in den Kerker schmeissen oder auf Ewigkeiten versklaven. Mit feuerrotem Gesicht sprang der König vom Bett, riss sich seinen Pyjama vom Leib – und zwar so richtig, denn der König hatte manchmal richtig viel Temperament – und zog sich ein königliches Gewand an, denn trotz der ganzen Wut wusste er, dass er den Übeltäter nicht nackt suchen konnte. Erst fragte er das königliche Personal, ob sie etwas in der Nacht bemerkt hatten, doch keiner wusste, wovon der König sprach und da er manchmal etwas wunderlich war, nahmen sie ihn auch nicht allzu ernst, was den König noch wütender machte. Er fragte jeden im Königreich genau aus, doch niemand – wirklich niemand – wusste, wovon der König sprach oder hatte einen Tipp für ihn. Der König beschloss eine Informationsveranstaltung für das Volk zum Thema «Vandalismus im Königreich – meine Rechte und Pflichten» zu halten. Zwar war die Veranstaltung gut besucht, das Volk freute sich immer, wenn wieder einmal etwas lief, vorallem dann, wenn ein Fremdwort im Titel vorkam, «Wandalissmus» hatte noch nie jemand gehört, aber auch das brachte den König auf keine Spur. Als seine Wut langsam verraucht war und der König allmählich wieder klar denken konnte, überlegte er sich neue Strategien für seine Übeltäter-Suche. Er beschloss, im ganzen Königreich Flugblätter mit einem Foto der kaputten Krone aufzuhängen. Auf die Flugblätter schrieb er in grossen, roten Buchstaben «WANTED», das hatte er in einem amerikanischen Western gesehen und es hatte ihm gefallen. Natürlich gab es auch eine hohe Belohnung für jeden Tipp, der ihn auf eine Spur brachte, nämlich 2000 Goldtaler, was ganz schön viel ist. Doch auch diese Bemühung führte zu nichts. Wie er es auch drehte oder wendete, der König fand niemanden, den er für diese grausame Tat zur Rechenschaft ziehen konnte. Die Wut, welche wie ein riesengrosses Feuer gelodert hatte, war nur noch eine kleine Glut und der König wurde trauriger und trauriger. Tief erschüttert über die Geschehnisse und sehr verzweifelt, legte er sich in sein königliches Bett und weinte. Seine kaputte Krone hatte er aus pietätsgründen mit einem Tuch abgedeckt. Auch eine Krone hat Gefühle, dachte er. Ausserdem wollte er sich diesen Anblick nicht zumuten. Der König weinte tagelang Rotz und Wasser. Mit so einer Krone konnte er doch kein Königreich regieren, dachte er immer noch sehr erschüttert.
Eines Tages, als er genug vom vielen Weinen, Nachdenken und Rumliegen hatte, beschloss der König, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Er sprang auf, duschte, putzte sich die Zähne, kämte die wenigen Haare, die er hatte, zog sich ein schönes königliches Gewand an und krempelte die Ärmel hoch. Er beschloss, seine Krone zu reparieren. So schwer konnte das doch nicht sein, dachte er, und ging zielstrebig in den nächsten Buchladen, um sich Fachliteratur zu besorgen. Der Buchhändler kannte sich gut aus auf dem Gebiet und verkaufte ihm «Crown repairing for dummies» – das war für nicht so begabte Handwerker und «How to repair a crown in 8 minutes» – das war für Könige mit wenig Zeit. Leider konnte der König nicht sehr gut englisch, weshalb er sich auch noch Wörterbücher besorgen musste, damit er die Fachliteratur überhaupt verstehen konnte. Doch der König war ehrgeizig und hatte ein Ziel und einen Plan: Er würde seine Krone reparieren, koste es was es wolle!
Ziemlich schnell realisierte der König, dass die Sache nicht so einfach war, wie er sie sich vorgestellt hatte, denn der König erwies sich bei der Kronen-Reparatur alles andere als begabt. Tagelang las er die verschiedenen Anleitungen, frimmelte an seiner Krone herum, versuchte es mit kleben, nähen, tackern, zusammenbinden und vergass dabei vor lauter Engagement zu essen, geschweige denn sein Königreich zu regieren. Aber das – so fand der König – war mit einer kaputten Krone sowieso nicht möglich.
Nachdem der König auch noch erfolglos einen Do-it-yourself-Kurs besucht hatte, beschloss er aufzugeben und Frau Gugl zu fragen. Frau Gugl war seine Haushälterin und eine sehr wichtige Person für den König, weil sie über viele Dinge so gut Bescheid wusste, wie kaum eine andere Frau im Königreich. Frau Gugl hörte sich die Schilderungen des Königs an und begutachtete die kaputte Krone. Sie schmunzelte. «Ach König, der Fall ist doch glasklar», sagte sie, «mit deiner Krone gehst du ganz einfach zum Goldschmied – zu wem den sonst!?» Wie genial Frau Gugl doch war, dachte der König und fragte sich, wieso er auf diese Idee nicht von selbst gekommen war!
Ohne zu zögern packte er seine Krone ein und machte sich auf den Weg zum Goldschmied. Der Goldschmied war ein Mann vom Fach, wenn nicht er seine Krone reparieren konnte, dann wohl keiner. Der Goldschmied begutachtete die Krone von allen Seiten, hielt sie unter eine Lupe, beleuchtete sie mit einer speziellen Lampe und der König war voller Vertrauen, denn was der Goldschmied da machte, schaute richtig professionell aus. Als er fertig mit seiner Begutachtung war, löschte er das Licht der speziellen Lampe, schob seine Brille auf die Nase und sagte entschlossen:
«König, diese Krone ist perfekt so wie sie ist.»
«Wie meinst du das, Goldschmied, perfekt? Sie ist doch kaputt, siehst du das nicht? Es sind mehrere Zacken abgebrochen! Das ist nicht gerade das, was ich als perfekt bezeichnen würde!»
Doch der Goldschmied lächelte nur.
«Es gibt Dinge, mein König, die sind wie sie sind. Und gerade das, was diese Dinge so unperfekt erscheinen lässt, ist das, was diese Dinge perfekt macht. Und erst jetzt, wo deine Krone diese Bruchstellen hat, kann das Licht so richtig durchscheinen. Die Krone ist jetzt so einzigartig, wie du es bist, König, und das darfst du mit Stolz jedem zeigen.»
Der König betrachtete die Krone von allen Seiten, drehte sie und wendete sie und dachte dabei über die Worte des Goldschmiedes nach. Zwar hatte er nicht alles verstanden, was er da gesagt hatte, aber jetzt, wo er die Krone betrachtete, sah sie irgendwie besonders aus – und das, obwohl sie kaputt war. Sie sah anders aus als alle Kronen, die der König vorher gesehen hatte und das Schöne daran war, es war seine Krone. Er setzte sie sich auf den Kopf und plötzlich spürte er, was der Goldschmied gemeint hatte. Und er spürte es nicht nur im Herzen, er spürte es auch im Bauch und sogar in seiner kleinen rechten Zehe. Fortan trug der König seine kaputte Krone stolzer, als er es je zuvor getan hatte. Und weil er nicht gestorben ist, regiert er das Königreich noch heute, mit seiner Krone auf dem Kopf, die erst dadurch perfekt wurde, unperfekt zu sein.
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