Wer der König ist

Der König lebt in einem königlichen Schloss mit einer königlichen Wendeltreppe, auf der er gelegentlich hinunterrutscht, weil er findet, dass man an manchen Tagen auch der Gewohnheit eine Pause gönnen sollte, damit sie sich erholen kann.

Am Liebsten tanzt er rhythmisch mit dem Wind und braucht dazu auch keine Musik, denn auch in der Stille lässt es sich gut tanzen, wenn die Musik von Innen kommt. Dass er sie nicht immer hören kann, versteht sich von selbst, aber da er kein fauler Zeitgenosse ist, gibt er niemals auf und horcht immer wieder in sich hinein, um nach der richtigen Melodie zu suchen.

Mal lacht der König so laut, dass es zwei Königreiche weiter zu hören ist und mal weint er so lange, bis ein Arzt kommen muss. Er hat ein gebrochenes Herz, das nur eine englischsprechende Zaubermaus heilen kann und obwohl ihn alle «Majestät» nennen, wächst auch dem König manchmal alles über den Kopf. Dann verschwindet er so schnell er kann, ohne sich umzudrehen und kehrt erst nach einer langen Reise zu sich selbst wieder zurück. Der König schlägt sich mit einer anhänglichen Frau namens Annemarie Angst rum, die er nicht los wird und obwohl sie ihn so nervt, bleibt er immer höflich zu ihr. Das ist sozusagen seine Stärke. Und weil der König bunte Blumen so liebt (Es gibt Gerüchte, er sei einmal ein Gärtner gewesen oder so ähnlich), pflanzt er seltene Arten in seinem königlichen Garten an, die er hegt und pflegt wie einen Schatz. Hin und wieder wird gemunkelt, der König sei mit den Jahren ein wenig verrückt geworden, aber der König ist alles andere als verrückt.

Der König ist dein Nachbar oder der Mensch, der dir jeden Tag die Post bringt. Er sitzt auch jeden Tag an der Supermarktkasse und hat vielleicht drei Kinder und keine Frau zu Hause oder er sitzt in der Früh im Bus neben dir und schnarcht leise vor sich hin, weil er einfach kein Morgenmensch ist. Der König fährt dich morgens zur Arbeit und sagt jeden Tag «einsteigen bitte», mal grüsst er freundlich und mal gibt er keinen Ton von sich und starrt vor sich hin. Der König ist dein cholerischer Chef, dem der Stress buchstäblich ins Gesicht geschrieben steht und deine Arbeitskollegin, mit der du noch nie viel gesprochen hast, obwohl du ihr zu Mittag gegenüber sitzt. Der König ist der Mann mit dem Regenschirm, der vielleicht gestern ganz schnell an dir vorbei gegangen ist und von dem du dachtest, ihn irgendwoher zu kennen, was sich als Irrtum herausgestellt hat und der König ist auch die Frau im Supermarkt, die dir vor deiner Nase das letzte Brot weggeschnappt hat und dich dann auch noch angeschnauzt hat, dass du nicht drängeln sollst, obwohl du gar nichts getan hast. Der König ist der Polizist, der dir letztens einen Strafzettel gegeben hat, weil dein Parkschein abgelaufen ist und der König ist auch der Schaffner im Zug, der dich dabei erwischt hat, wie du ohne Fahrkarte gefahren bist, obwohl du das ja sonst nie tust.

Der König ist du und ich, und obwohl er der wichtigste Mensch im Königreich ist, ist auch er nicht perfekt. Das macht ihn zu dem König der er ist: Einen König wie du und ich.